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Ausgabe 01/2022

Kein Neuerungsverbot im Abgabenverfahren

ABGABENBEHÖRDE. Solange sie nicht entschieden hat, hat sie Angaben über tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse zu prüfen und zu würdigen. Auf neue Tatsachen, Beweise und Anträge ist aber auch im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht Bedacht zu nehmen. Von Herbert Houf

Die für den Ausschluss eines Neuerungsverbots maßgeblichen Bestimmungen finden sich in den §§ 115 Abs. 4 und 270 BAO, die nicht zuletzt auf Grund der Anordnung in § 2a BAO für das Verfahren vor Abgabenbehörden und Verwaltungsgerichten gleichermaßen (sinngemäß) anzuwenden sind.

Zeitpunkt der Entscheidung
Soweit eine Entscheidung in Form eines Bescheides (resp. einer Erkenntnis oder eines Beschlusses des Verwaltungsgerichts) zu treffen ist, kann diese grundsätzlich nur schriftlich ergehen (§§ 92 Abs. 2 und 93a BAO). Sie wird dadurch wirksam, dass sie demjenigen, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt ist, bekanntgegeben wird. Daraus resultiert, dass eine Entscheidung i.d.R. durch eine gesetzeskonforme Zustellung wirksam wird und damit die Sache ‚entschieden‘ ist. Im Beschwerdeverfahren kann sich eine Besonderheit dann ergeben, wenn eine mündliche Verhandlung anberaumt wurde und diese nicht vertagt wird. In diesem Fall schließt die mündliche Verhandlung mit der Verkündung der Entscheidung, sofern diese nicht der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten wird. Verfahrensrechtlich ergibt sich daraus, dass die Sache bereits mit der mündlichen Verkündung als entschieden gilt. Anzumerken ist, dass ungeachtet dessen die sechswöchige Revisions- bzw. Beschwerdefrist an den VwGH bzw. VfGH erst mit Zustellung der schriftlichen Ausfertigung in Gang gesetzt wird. Solange also eine Sache nach diesen Bestimmungen als noch nicht entschieden gilt, besteht kein Neuerungsverbot. Dies auch dann, wenn es außerhalb eines Beschwerdeverfahrens zu einer Abänderung von Bescheiden kommt, beispielsweise in den Fällen einer Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 303 BAO), einer Aufhebung nach § 299 BAO, bei der Erlassung eines endgültigen Bescheides (§ 200 Abs. 2 BAO) oder der Änderung eines abgeleiteten Bescheides (§ 295 BAO).

Inhalt und Umfang von zu berücksichtigenden Neuerungen
Neue Vorbringen, die zu prüfen und zu würdigen sind, können sich sowohl auf den Sachverhalt als auch auf dessen rechtliche Beurteilung beziehen. Auch dann, wenn die Abgabenbehörde – z.B. im Rahmen eines Vorhaltsverfahrens – für die Vorlage von Unterlagen oder die Beantwortung von Fragen bereits eine Frist gesetzt hat und diese nicht eingehalten worden ist. Im Beschwerdeverfahren – auch vor dem Verwaltungsgericht – ist wiederum nicht ausgeschlossen, dass nachträgliche Vorbringen das ursprüngliche Beschwerdebegehren sogar abändern oder ergänzen. © KRIZZDAPAUL/ISTOCK Zum Sachverhalt können beispielsweise neue Unterlagen vorgelegt oder Beweisanträge gestellt werden, also das Begehren, durch die Aufnahme weiterer Beweise den Sachverhalt zu ergänzen. Aber auch Vorbringen zur Beweiswürdigung, also zu der Frage, welcher Sachverhalt auf Grund der Beweislage der am wahrscheinlichsten anzunehmende ist, sind möglich. Neue Vorbringen zur rechtlichen Beurteilung können die bisherige Argumentation ergänzen oder untermauern, aber auch in eine völlig neue Richtung gehen, die bislang noch nicht vorgebracht wurde und allenfalls zur bisherigen Argumentation sogar im Widerspruch steht.

Verfahrensrechtliche Beurteilung und Zusammenfassung
Kommt die Abgabenbehörde oder das Verwaltungsgericht den dargestellten Verpflichtungen nicht nach, wird dies i.d.R. einen Verfahrensmangel, insbesondere die Verletzung der amtswegigen Wahrheitsermittlungspflicht und des Parteiengehörs, darstellen. Die daraus resultierende Rechtswidrigkeit der Entscheidung kann, neben den materiell-rechtlichen Vorbringen, im weiteren Rechtszug (Beschwerde, Vorlageantrag, Revision an den VwGH) als Beschwerde- oder Revisionspunkt zusätzlich vorgebracht werden. Insbesondere kann dies dazu führen, dass der VwGH eine außerordentliche Revision zulässt und eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts aufhebt, obwohl dieses im Spruch seines Erkenntnisses die Revision an den VwGH – mangels Vorliegens einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (Art 144 Abs. 4 B-VG) - als unzulässig erklärt hat. Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass nach derzeitiger Rechtslage die Ergänzung von Anbringen aller Art jederzeit und uneingeschränkt zulässig ist, solange über eine Sache noch nicht entschieden wurde. Dies steht auch im Einklang mit den tragenden Verfahrensgrundsätzen der amtswegigen Wahrheitsermittlungspflicht und dem Parteiengehör. Jüngere Überlegungen, im Beschwerdeverfahren einen vorzeitigen Beschluss über die Schließung des Ermittlungsverfahrens zu erlauben, sind daher (anders als im Privatrecht) aus genau diesen Gründen abzulehnen.  

Erscheinungsdatum:

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