DRESSCODE. Was Kleidung über die innere Einstellung und die äußere Wirkung aussagt und was die Vorteile von Dresscodes sind. Von Karin Pollack
Immer ist es eine Frage von Sekunden. Da kommt jemand zur Tür rein, und noch bevor man einander die Hand gegeben hat, ist im Kopf etwas passiert. Die Augen haben das Gegenüber gescannt, haben nach Bekanntem gesucht und Unbekanntes registriert. Das menschliche Gehirn funktioniert über weite Strecken unbewusst, man kann gar nicht anders, als sich eine Meinung zu bilden. „Kleider, Frisur und Schuhe zählen seit jeher zu den Insignien der Macht“, sagt Christine Bauer-Jelinek. Sie ist Wirtschaftscoach und Machtexpertin und überzeugt, dass visuelle Eindrücke stark meinungsbildend sind. Mit Dresscodes erfülle man zwar Klischees, doch die funktionieren eben. Kompetenz signalisieren: Darum ginge es schließlich in der Geschäftswelt, sagt sie und hat lange Jahre Erfahrung als Beraterin in diesem Bereich.
Männer haben es einfacher
Dresscode ist das moderne Wort für Uniform. In der Vereinheitlichung der Kleidervorschriften liegt ein Vorteil: Man muss sich nicht jeden Tag von Neuem überlegen, was man anziehen soll, um weder „overdressed“ noch „underdressed“ zu sein. Wie Bauer-Jelinek die Branche der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sieht: „Sehr klassisches Umfeld, in dem sich die Akteure mehrheitlich an etablierte Kleidervorschriften halten“, sagt sie. In den beratenden Branchen hat sich in den letzten Jahrzehnten der Dresscode nur minimal verändert. Männer, und daran besteht kaum Zweifel, haben es in vielerlei Hinsicht einfacher. Die Tradition der Uniform besteht seit Jahrhunderten. Im 20. Jahrhundert haben sich Anzug, Hemd, Krawatte und Lederschuhe als Business-Outfit etabliert. Die Variationsmöglichkeiten für Männer sind marginal. Dreiteilige Anzüge signalisieren höchste Seniorität, an der Farbe der Anzüge lässt sich in Mitteleuropa aber auch die Hierarchiestufe des Trägers ablesen: Je dunkler, umso mächtiger. Spielraum in männlichen Dresscodes gibt es lediglich in der Qualität der Stoffe, bei Manschettenknöpfen und der Uhr am Handgelenk. Der neueste Trend, hat Bauer-Jelinek beobachtet, seien bunte Socken als Farbtupfer, so wie sie Kanadas Justin Trudeau oder Frankreichs Emmanuel Macron tragen. Frauen im Business haben es aus historischen Gründen wesentlich schwerer, weil die Vorbilder fehlen. „Mädchen traditionell immer noch als kleine Bräute gekleidet, quasi als Vorbereitung für den Heiratsmarkt, das beginnt schon bei der Erstkommunion“, erläutert Bauer- Jelinek, die im Sinne der weiblichen Machtkompetenz auch in der Anwendung der Dresscodes enormen Nachholbedarf ortet. Wer sich seriös geben will, kleidet sich in Kostüm bzw. Hose und Blazer und vermeidet jede zu offensive Darstellung der erotischen Attraktivität. Konkret: High Heels, nackte Beine oder freizügige Dekolletés sind absolute No- Gos in den Toppositionen der klassischen Branchen. Ein zu großer Ausschnitt lasse Frauen zudem sehr verletzlich wirken, sagt sie, vor allem gegenüber Männern, die mit Hemdkragen und Krawatte eine Form des Kehlschutzes haben. Um einen ähnlichen geschützten Eindruck zu vermitteln, empfiehlt sie Frauen kurze Ketten oder edle, nicht zu große Schals. „Auch schuhtechnisch sollten Frauen gegenüber einem Mann mit genagelten Lederschuhen oder Budapestern bestehen können“, erinnert ChristineBauer-Jelinek. In High Heels, Ballerinas oder Sandaletten wirke man schnell wie die Sekretärin des Mannes, der neben einem geht, sagt sie und sieht in eleganten Schürschuhen eine Alternative. Und auch was den Schmuck für Frauen betrifft, hat die Machtexpertin klare Vorstellung: „Nichts, was klimpert oder wackelt“, sagt sie und meint klappernde Armreifen oder hängende Ohrringe, die automatisch Blicke auf sich ziehen und damit vom eigentlichen Thema eines Meetings ablenken. Ein absoluter Fauxpas seien deshalb auch Halsketten mit Anhängern, die den Blick ins Dekolleté lenken. Man könnte nun sagen, dass Christine Bauer- Jelinek ein klein wenig zu streng unterwegs ist und sich die Dresscodes vor allem im 21. Jahrhundert etwas gelockert haben. Man denke an Steve Jobs oder Bill Gates, die sich in Rollkragenpullovern und offenen Hemden der Welt präsentierten. „Milliardäre können anziehen, was immer sie wollen“, sagt Bauer-Jelinek und hält es außerdem für vermessen, sich an den erfolgreichsten Managern zu messen. Zudem hat die vergleichsweise junge IT-Branche ihre eigenen Insignien, räumt sie ein. Der Dresscode sei etwas legerer, „als Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer kann man ein höfliches visuelles Statement in Richtung solcher Kunden setzen“, meint sie, warnt aber vor zu eindeutigen Gesten der Anbiederung. Kompetenz zu signalisieren hat für sie jedenfalls oberste Priorität. Ist aber nicht der so genannte Casual Friday (siehe Kasten) ein Zeichen dafür, dass sich die Dresscodes zunehmend verändern und Mitarbeiter freitags auch mal etwas sportlicher ins Büro kommen können – am Sprung ins Wochenende sozusagen? „Es ist ein Zeichen für die interne Unternehmenskultur, gilt allerdings nicht, wenn wichtige Kundentermine oder Präsentationen am Freitag anstehen“, erklärt Bauer-Jelinek. Visuelle Eindrücke kennen schließlich kein Wochenende.
Was Dresscodes bedeuten
Wer niemals falsch angezogen sein will, richtet sich nach folgenden Regeln:
BUSINESS Bürokleidung im klassischen Sinne. Männer tragen dunkle Anzüge. Sie können auch dreiteilig oder mit Nadelstreif sein. Das Hemd sollte weiß, hellblau oder dezent gemustert und langärmelig sein, die Krawatte edel-elegant, die Socken dunkel, die Schuhe aus glattem Leder. Frauen hingegen wählen Kostüm, Hosenanzug und eine einfarbige, hochgeschlossene Bluse, Seidenstrümpfe und geschlossene Schuhe.
BUSINESS CASUAL Ist immer noch sehr repräsentativ. Die Idee ist, nach dem Büro direkt zu einem Business-Abendessen zu gehen. Insofern trägt man Anzug, kann aber die Krawatte lösen. Auch ein Button-down-Hemd statt ein klassisches Hemd ist erlaubt. Für Frauen gilt dasselbe, eventuell sind Pumps und Peeptoes (Pumps mit offenen Zehen) erlaubt.
SMART CASUAL Smart steht hier für schick. Bezeichnet einen förmlich-eleganten, aber sportlichen Kleidungsstil, der in jungen Unternehmen erlaubt ist. Männer tragen eine dunkle Hose und ein Hemd in klassischem Muster – Krawatte ist nicht unbedingt erforderlich. Frauen tragen Rock und Oberteil, Pumps oder Peeptoes.
CASUAL Englisch für „ungezwungen“. Es ist legere Freizeitkleidung (kein Sportoutfit). Männer trage einfärbige Hosen und kurzärmelige Hemden bzw. Poloshirts, Sneakers oder Schlüpfer, aber stets dunkle Socken. Frauen hingegen können gemusterte Röcke mit passenden T-Shirts oder Kleider tragen. Strümpfe sind nicht unbedingt erforderlich, es dürfen auch zehenfreie Schuhe (Sandalen) getragen werden.
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