BAO. Sowohl neu hervorkommende Tatsachen oder Beweismittel als auch der Eintritt eines rückwirkend zu berücksichtigenden Ereignisses können die Abänderung eines Erstbescheids erforderlich machen. Sachverhalt und verfahrensrechtliche Umsetzung sind jedoch unterschiedlich. Von Herbert Houf
Immer wieder kommt es in Abgabenverfahren zu Situationen, in denen „neue Umstände“ einen anderslautenden Bescheid erforderlich machen. Um verfahrensrechtlich korrekt vorzugehen und den richtigen Antrag zu stellen, müssen dabei zwei Fälle unterschieden werden.
Der Neuerungstatbestand des § 303 BAO
Eine Wiederaufnahme ist gem. § 303 Abs 1 lit b) BAO dann möglich, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind. Nach der Logik dieser Norm muss es sich demnach um „Umstände“ handeln, die bei der Erlassung des Erstbescheids bereits vorgelegen sind bzw. bestanden haben, die aber aus welchem Grund auch immer im Verfahren nicht bekannt waren und daher bei der Entscheidung keine Berücksichtigung finden konnten. Als klassischer Anwendungsfall sind die Ergebnisse einer Außenprüfung anzusehen. Diese zielt darauf ab, die für die Abgabenerhebung bedeutsamen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu prüfen. Ergeben sich dabei neue Erkenntnisse über die (grundsätzlich unveränderte) Höhe des Abgabenanspruchs, liegt ein © FOTOMOWO/ADOBESTOCK sog. Neuerungstatbestand vor. Nach h.A. stellen Beweismittel, die erst nach dem Erstbescheid geschaffen wurden (beispielsweise ein nachträglich erstelltes Gutachten), keinen Wiederaufnahmegrund dar. Auch eine zwischenzeitlich (z.B. durch VwGH-Judikatur) geänderte Rechtsansicht ist kein Wiederaufnahmegrund, geht es dabei ja nicht um neue Erkenntnisse zum Sachverhalt, sondern zu dessen rechtlicher Beurteilung. Wohl kann aber im wiederaufgenommenen Verfahren – sofern der Neuerungstatbestand auf andere Weise erfüllt ist – die Behörde auch ihre ursprüngliche Rechtsansicht korrigieren und auch solche Änderungen vornehmen, die sich nicht unmittelbar aus dem Wiederaufnahmegrund, sondern aus anderen Umständen ergeben. Das heißt, die Abgabenbehörde ist hinsichtlich ihrer Änderungsbefugnis nicht auf jene Sachverhalte beschränkt, die unmittelbar den Wiederaufnahmegrund darstellen. Diese Grundsätze gelten ungeachtet davon, ob es sich um eine Wiederaufnahme von Amts wegen oder auf Antrag der Partei handelt.
Rückwirkend zu berücksichtigende Ereignisse gem. § 295a BAO
Ereignisse, die erst nach Erlassen des Erstbescheids eintreten und sich – auf Grund einschlägiger materiell-rechtlicher Vorschriften – rückwirkend auf die Höhe des Abgabenanspruchs auswirken, erfüllen ebenfalls den Neuerungstatbestand nicht und können daher keine Wiederaufnahme begründen, auch wenn sie – wie oben dargestellt – im Rahmen einer Wiederaufnahme (zusätzlich) berücksichtigt werden können. Für solche Fälle steht § 295a BAO als Rechtsgrundlage für die Abänderung eines Bescheids zur Verfügung. Anders als bei der Wiederaufnahme ist in diesem Fall die Abänderungsbefugnis der Behörde auf die unmittelbaren Auswirkungen des neu eingetretenen Ereignisses beschränkt, d.h. andere, allenfalls durchaus notwendige Änderungen dürfen im Rahmen einer solchen Maßnahme nicht vorgenommen werden (Teilrechtskraft). Auch hier gilt dieser Grundsatz gleichermaßen für die amtswegige wie für die antragsgemäße Abänderung. Als typische, im Gesetz ausdrücklich genannte, Anwendungsfälle können beispielsweise § 24 Abs. 6 EStG, § 27 Abs. 6 Z 1 lit. c) EStG oder § 9 Abs. 10 KStG genannt werden. Aber auch in nicht ausdrücklich im Gesetz genannten Fällen kann ein Ereignis von rückwirkender Bedeutung sein, beispielsweise die Veräußerung einer internationalen Schachtelbeteiligung vor Ablauf der Behaltefrist des § 10 Abs. 2 KStG. Da die (neue) Höhe des Abgabenanspruchs vor Eintritt des rückwirkenden Ereignisses noch nicht feststeht, werden – jedoch nur auf Antrag – allfällige Anspruchszinsen gem. § 205 Abs. 6 BAO insoweit nicht festgesetzt.
Zusammenfassung
Die Anwendungsbereiche der §§ 295a und 303 BAO sind also klar gegeneinander abgegrenzt, was sowohl bei der Antragstellung als auch bei amtswegigen Maßnahmen zu beachten ist, andernfalls droht die Abweisung des Antrags bzw. der amtswegige Bescheid kann wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit angefochten werden.
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