INTERVIEW. Der Soziologe Paul Scheibelhofer befasst sich mit kritischer Männlichkeitsforschung, Geschlecht und Sexualität. Die ÖGSW hat ihn darum zu einem Interview rund um die Themenkreise Gender und Gleichberechtigung eingeladen. Von Jürgen Sykora
ÖGSW: Woher kommt Ihr Interesse an diesen Themen?
Scheibelhofer: Ich habe Soziologie studiert. Die Geschlechterfrage hat sich bei mir von einem anfangs kleinen Interesse zu einer Perspektive gewandelt. Es geht in dieser Disziplin um unterschiedliche Aspekte unserer Gesellschaft, welche viel über unsere aller Leben aussagt.
Viele glauben, dass es sich dabei um ein Frauenthema handelt. Was können Männer beitragen zur Gleichstellung und Gleichberechtigung?
„Mann“ könnte es auch anders fragen: Wäre eine Welt, in der alle gleiche Lebenschancen haben, männlicher oder weiblicher? Man sollte sich jedenfalls bei dem Anspruch treffen, dass jeder Mensch die gleichen Rechte hat.
In den vergangenen Jahren hat sich die Diskussion in der öffentlichen Wahrnehmung auch stark auf die Transgender- Community verlagert. Woher kommt das?
Es haben sich mehr Möglichkeitsräume eröffnet. Communities werden sichtbarer, vernetzter und kraftvoller. Früher fühlten sich Betroffene oftmals alleine gelassen in ihrer Welt. Ihr Beitrag ist sehr wichtig, denn er zeigt auf, wo es noch weitergehen sollte.
Das Thema ist in der Sprache angekommen. Viel wird über Gendersternchen diskutiert. Kann Sprache tatsächlich unser Wirken beeinflussen?
Sprache ist nicht nur ein Medium zum Informationstransport, sondern sie transportiert immer auch Bilder über die Gesellschaft. Sprache kann neue Bilder schaffen oder diese einzementieren. Beispielweise gibt es Experimente mit Volksschulkindern, die Sätze wie „Drei Forscher gehen ins Labor“ zu malen. Wenig verwunderlich sind durchwegs männliche Forscher auf diesen Bildern zu sehen. Diese Bilder vermitteln wir der nächsten Generation, wenn wir rein männlich sprechen und „Frauen mitmeinen“. Wenn wir aber wollen, dass sich die Welt verändert, müssen wir neue Bilder zulassen. Hier darf die Sprache nicht vergessen werden. Sigmund Freud hat noch ganz selbstverständlich vom Weibe gesprochen. Sprache ändert sich nun mal mit der Gesellschaft. Ob mit Asterisk (Gender-Sternchen) oder Doppelpunkt gegendert wird, ist dabei sekundär. Wichtig ist, dass Veränderungen sprachlich sichtbar gemacht werden. Die Position „Das war schon immer so und soll so bleiben“ ist hingegen problematisch.
Reicht also oftmals schon ein Gendersternchen?
Es ist kein „Entweder-oder“. Oft hört man, ob wir als Gesellschaft nichts Wichtigeres zu tun haben. Wir haben sowohl das als auch vieles andere zu tun. Der Tag hat viele Stunden. Die zentrale Frage ist, wie können wir Veränderungen unterstützen und die Veränderungen, die bereits passiert sind, sichtbar machen. An österreichischen Universitäten merkt man, dass das Gendern schon stärker verankert ist. Sozial- und Geisteswissenschaften tun sich hier leichter, aber auch in den technischen und juridischen Disziplinen ist es bereits präsent.
Hinkt die Wirtschaft hier noch nach?
Im Wirtschaftsbereich gibt es schon ein Bewusstsein für das Aufbrechen klassisch männlicher Strukturen. Man hat erkannt, dass es ökonomisch sinnvoll ist. Es ist dennoch mehr Arbeit und Energie nötig. Im Kulturbereich sind diese Debatten und Namensgebungen schon lange passiert.
Gut Ding braucht also Weile?
Insgesamt sind die Veränderungen der Geschlechterverhältnisse heute widersprüchlicher zu verstehen als noch in den 60er- Jahren. In vielen Männerdomänen haben sich Frauen ihre Position erkämpft. Wir sehen nicht das Gleiche bei traditionellen Frauenberufen. Diese bleiben weiterhin Frauendomänen, da Männer hier nicht in gleichem Maße einströmen. Frauen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten größere Spielräume erarbeitet, was für Männer nicht in gleicher Weise behauptet werden kann. In der Pflege, sozialen Berufen und bei unbezahlter Hausarbeit sind Männer dementsprechend weiterhin massiv unterrepräsentiert. Für Frauen bedeutet das: Sie haben heutzutage zwar mehr Möglichkeiten, aber auch mehr Aufgaben unter einen Hut zu bringen, da nicht viel weggefallen ist.
Merkt man nicht gerade bei den Jüngeren ein Umdenken?
Ja, junge Männer wollen immer weniger so ein Leben haben wie ihre Väter. Sie möchten sich nicht mehr so aufreiben für die Karriere. Sie wollen beispielsweise präsentere Väter sein, sind es dann allerdings aus verschiedenen Gründen nicht. Man spricht hier auch von rhetorischer Modernisierung. Sprache und Wünsche haben sich weiterentwickelt. Würde man bloß © PIXELFIT/ISTOCK auf diese Ebene schauen, könnte man annehmen, das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit sei schon erreicht. In der Praxis sieht man aber, das klafft auseinander. In Österreich hat der Rechnungshof etwa ermittelt, dass nur 4,5 Prozent aller Kinderbetreuungsgeldzahlungen an Männer ausbezahlt wurden. Das liegt daran, dass Männer, wenn überhaupt, meist nur zwei Monate in Karenz gehen. Schaut man sich an, wann sie in Karenz gehen, dann sind es die Monate Juli und August. Trotzdem ist es wohl nicht nur ein Schönreden, sondern gibt es bei einigen Männern echte Wünsche nach Veränderung. Nur ist dieser Wunsch leider sehr oft weit weg von dem gelebten Leben. So erhöhen etwa Männer in Österreich nach dem ersten Kind sogar die Arbeitszeit, während Frauen sie reduzieren.
Der Wunsch ist also da?
Ja, es kommt allerdings auch auf die Lebensumstände an. Ganz viele Paare haben ein gleichberechtigteres Beziehungsmodell gelebt und das kippt dann nach dem ersten Kind wieder in ein traditionelles Rollenbild. Es gibt offenbar Kräfte, die stärker sind als dieser Wunsch.
Was ist nun zu tun? Wie sieht es mit „Role Models“ aus?
Männer, die nicht diesen traditionellen Mustern folgen, sollten vor den Vorhang treten. Sie sollten beispielsweise mehr über ihre Erfahrungen mit Kindererziehung sprechen, damit auch von Männerseite ein Diskurs beginnt. Freilich sollten dabei realistische Bilder gezeigt werden und keine neuen Idealbilder geschaffen. Der Chef, der seine Eltern pflegt und sich eine Auszeit nimmt, kann so ein Vorbild sein. Er zeigt, dass man sich eine Auszeit nehmen kann und dennoch nicht auf das Abstellgleis gestellt wird. Das ist ein „näheres Role Model“. Solche Role Models können Inspiration geben, gleichzeitig reicht ein Flyer oder ein Poster nicht aus, um Einstellungen oder gar Handlungen grundlegend zu verändern. Es bedarf einer Auseinandersetzung auf unterschiedlichsten Ebenen.
Was braucht es, um diese Entwicklung zu unterstützen?
Es gibt viele, die wollen etwas anders machen. Der österreichische Arbeitsmarkt ist hier aber noch zu festgefahren. Karriere macht man nur mit einem Vollzeitjob. Wir müssten derzeit über geteilte Führung diskutieren. Die einen arbeiten derzeit 50–60 Stunden und die anderen machen die Zuarbeit. Das kann auf Dauer nicht funktionieren. Ein alleiniger Fokus auf Frauen ist dabei kontraproduktiv – Männer müssen als Teil der Veränderung angesprochen werden. Ja, sie müssen ein bisschen Geld und ein wenig Macht abgeben, aber sie bekommen sehr viel zurück. Sei es in der Partnerschaft, Kinderbeziehung oder Lebensfreude. Männer blockieren aber diese Veränderung leider oft noch selbst.
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