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Ausgabe 02/2023

Richterin auf Langstrecke

PORTRÄT. Seit Jahrzehnten entscheidet Andrea Müller-Dobler strittige Steuercausen. Seit Anfang des Jahres ist die erfahrene Richterin Vizepräsidentin des Bundesfinanzgerichts. Von Karin Pollack

Steuern sind eine Notwendigkeit, mitunter kann es jedoch vorkommen, dass sich Abgabenpflichtige ungerecht behandelt fühlen. Das Gute an Demokratien ist, dass sie die Möglichkeit eines Rechtsmittels vorsehen, ein mehrstufiges Verfahren, das, wenn die rechtliche Sachlage Zweifel offenlässt und in den vorhergehenden Instanzen nicht entschieden werden kann, am Bundesfinanzgericht in der Hinteren Zollamtsstraße in Wien landet. „Zu uns kommen Privatpersonen und Großkonzernen gleichermaßen“, sagt Andrea Müller-Dobler und blättert wie zur Veranschaulichung ein paar Akten durch. Es ist die Vielfalt der Fälle, die ihr auch nach 30 Berufsjahren noch Freude macht. „Routine gibt es bei uns nicht“, sagt sie. Seit 1. Jänner 2023 ist sie als Vizepräsidentin des Bundesfinanzgerichts in eine neue Rolle geschlüpft. „Ich habe viel vor“, sagt sie energiegeladen. Richterin wollte Andrea Müller-Dobler tatsächlich immer schon werden, erzählt sie. Geboren 1962 wuchs sie in den ersten Lebensjahren in der Steiermark auf. Ihre Kindheit war bewegt, sagt sie, da ihr Vater berufsbedingt viel unterwegs und im Ausland war. Weil die Eltern ihrer Tochter jedoch eine stabile Ausbildung ermöglichen wollten, wählte man das Gymnasium der Ursulinen in Graz, weil es dort auch ein Internat gab. Als begeisterte „Hanni und Nanni“-Leserin machte ihr das auch tatsächlich nichts aus. „Mit meinen Schulkolleginnen von damals verbindet mich bis heute eine enge Freundschaft“, sagt sie rückblickend, gibt aber zu, dass die Schule streng war. Mathematik mochte sie, Sprachunterricht weniger. Nach der Matura inskribierte sie an der juristischen Fakultät in Graz.

Richterposten waren rar
„Gesetze mag ich“, sagt sie und zeigt wie zum Beweis auf die lange Reihe der hellgelben Steuergesetzbücher hinter ihrem Schreibtisch. „Wir entscheiden die Fälle immer nach der Rechtslage, die im jeweiligen Steuerjahr gültig war“, erklärt sie. Deshalb braucht sie die Übersicht zu sämtlichen Gesetzesversionen. Weil in den 1980er-Jahren, als Müller-Dobler ihr Studium abschloss, Richterposten rar waren, „landete ich in der Finanz“, erzählt sie, konkret in der Rechtsmittelabteilung der damaligen Finanzlandesdirektion. Apropos Verwaltung:
Andrea Müller-Dobler erlebte in ihren 30 Berufsjahren auch weitreichende Umstrukturierungen mit: Nach den Finanzlandesdirektionen übernahm der Unabhängige Finanzsenat die Aufgabe, Rechtsmittel zu bearbeiten, 2014 wurde dafür das Bundesfinanzgericht ins Leben gerufen. „Doch meine Kolleginnen und Kollegen waren immer die gleichen“, sagt sie mit großer Wertschätzung. Aktuell ist eine ihrer Aufgaben, Nachfolgerinnen und Nachfolger für all jene zu finden, die in den nächsten Jahren in Pension gehen. Das fordert auch ihre Qualitäten als Managerin. Andrea Müller-Dobler hat das Rüstzeug dafür in einem Master erworben. Und sie hat eine Mediationsausbildung gemacht, die ihr immer dann zugutekommt, wenn Steuer-Fälle ad personam verhandelt werden. Dann tritt sie den Parteien in Talar und Barett gegenüber. „Oft ist es das erste Mal, dass die, die Beschwerden in Steuercausen erheben, tatsächlich mit echten Menschen konfrontiert sind“, sagt sie, weil Finanzcausen zu weiten Teilen heute digitalisiert und ohne Kontakt zu Finanzbeamten erfolgen. Auch diese Entwicklung hat Müller-Dobler erlebt und sagt: „Wir können in Sachen Software tatsächlich viel von den Jungen lernen.“

Apropos Jugend
Stolz ist Andrea Müller-Dobler auf ihre beiden Töchter, die beide bereits studieren. Eine hat sich für Jus entschieden, die andere für Wirtschaft. „Die eine geht in meine Richtung, die andere in die meines Mannes“, lacht sie. Es ist kein Geheimnis, dass sie mit Edi Müller verheiratet ist, der am Umbau des Finanzwesens in Österreich federführend beteiligt und zwischenzeitlich sogar Finanzminister in der Übergangsregierung Bierlein 2019 war. „Doch unsere beiden Jobs hören exakt an der Haustüre auf“, betont sie. Daheim in Perchtoldsdorf zählen Sport, gutes Essen und das Familienleben. Und genau das ändert sich derzeit. Die älteste Tochter ist gerade von zu Hause ausgezogen. Das sieht die neue Vizepräsidentin mit einem weinenden, aber auch einem lachenden Auge. Der Vorteil: Sie hat jetzt nicht nur mehr Zeit für ihren Job, sondern für ihr Hobby. Seit 13 Jahren trifft sie sich alle sechs Wochen mit ein paar anderen Lesewütigen, um über Bücher zu diskutieren. Derzeit beschäftigt sie Leila Slimanis Roman „Das Land der anderen“. Es gefällt ihr, wie unterschiedlich der Blick auf ein und dieselbe Geschichte sein kann. Auf ihrem Nachttisch liegt aber auch eine Biografie über den Mathematiker Kurt Gödel, weil aus ihrer Sicht die Verbindung von Literatur und Mathematik die perfekte Kombination ist. Und sie kann sich auch ihrem zweiten großen Hobby, dem Laufen, widmen. Andrea MüllerDobler hat sich erstmals einen Halbmarathon vorgenommen. Sie will ihn im Oktober in Venedig laufen.

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