PORTRÄT. Hans Jörg Schelling ist Österreichs neuer Finanzminister. Er hat sich Konjunkturkonsolidierung verordnet – und geht sein Amt unerschrocken an. Von Karin Pollack
Politik ist ein wildes Fahrwasser.
Dass Hans Jörg Schelling,
ehemals Präsident des Hauptverbands
der Sozialversicherungsträger,
Finanzminister würde, hat vor dem
Sommer noch kaum einer geglaubt.
„Zu schlecht in der ÖVP vernetzt“,
hieß es. Doch Schelling, der sich mit
der Konsolidierung der Krankenkassen
und der Gesundheitsreform seine
Sporen verdient hatte, wurde zum Ass
von Reinhold Mitterlehner. Abbau von
Förderungen und das Heraufsetzen des
Pensionsalters nannte er gleich nach der
Ernennung seine Ziele, langfristig strebt
er eine Konjunkturkonsolidierung an.
Was Schelling den Steuerberatern, deren
wichtige Schlüsselfunktion zwischen Ministerium
und Wirtschaft er betont, verspricht?
„Bisher sind auf die Steuerberater immer noch mehr
Steuergesetze und Ausnahmeregelungen zugekommen, jetzt
wollen wir den umgekehrten Weg gehen“, sagt er gegenüber
ÖGSWissen und meint damit Vereinfachungen.
„Wenn wir nichts tun, dann fährt das System gegen die
Wand“, hat Schelling schon öfter gesagt. Jetzt kann er so richtig
beweisen, was er immer gemeint hat. Angst, unbeliebt zu sein,
hat er nicht. Ganz generell geht der 60-Jährige auch diese neue
Aufgabe unternehmerisch an. Das entspricht seinem Selbstverständnis.
Hans Jörg Schelling, Jahrgang 1953, ist Vorarlberger
aus Hohenems. Er studierte in Linz Betriebswirtschaftslehre
und begann seine Laufbahn 1981 als Assistent der Geschäftsleitung
von Kika/Leiner. 1988 wurde er dort Geschäftsführer. Als
er sich mit dem Schwiegersohn des Firmengründers, Herbert
Koch, überwarf, verließ er das Unternehmen und heuerte bei
Möbel Lutz an. Brisant: Er kündigte an, Lutz zum Marktführer
zu machen. Die Eigentümer beteiligten ihn. 2003 war kika/
Leiner überholt und das Ziel erreicht. 2009 erwirtschaftete
XXX-Lutz zwei Milliarden Euro, Hans Jörg Schelling stieg aus
und verkaufte seine Firmenanteile.
Doch für einen Ruhestand hatte der Wirtschaftsbündler
zu viel Energie. Neben Funktionen in diversen Aufsichtsräten
hatte sich der Wahl-St. Pöltner schon seit 2001 für die ÖVP
im Gemeinderat engagiert, blitzte aber mit allen Anträgen
immer bei der SPÖ ab. „Wer mich kennt, weiß, dass ich keine
Konflikte scheue“, sagt er. Das bemerkte auch Landeshauptmann
Erwin Pröll und holte den in der Zwischenzeit zum
Vizepräsidenten der Wirtschaftskammer gewählten Schnauzbartträger
in den Nationalrat. 2009 schließlich, nach nur
wenigen Monaten bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt
AUVA, wurde er Vorsitzender des Hauptverbands der
Sozialversicherungsträger. In Fragen der Spitals- und Gesundheitsreform
überwarf er sich mit dem niederösterreichischen
Landeshauptmann.
„Niemand hat seinerzeit geglaubt, dass es uns gelingen
würde, die Gebietskrankenkassen zu sanieren oder eine echte
Gesundheitsreform zu starten“, sagt er stolz, doch niemals
ohne den Mitstreitern der anderen Parteien verbal Rosen zu
streuen. Was er gelernt hat: „Wenn etwas in der Privatwirtschaft
nicht gut läuft, sucht man nach Lösungen, für eine
entscheidet man sich, dann ist das Problem beseitigt“, sagt
Schelling, „in staatlichen Einrichtungen musst du immer alle
auf einen langen Weg mitnehmen, sozialpartnerschaftlich,
strukturell, trägerorientiert.“ Damit wird er nun weitermachen.
Sein Zauberwort dafür: „Prozessorientiert.“
Als frisch gebackener Finanzminister stand er dann auch
Armin Wolf in der ZIB2 Rede und Antwort, nannte dort Julius
Raab und Konrad Adenauer als seine Vorbilder. „In Konflikten
nicht persönlich werden und nachher miteinander auf
ein Bier gehen können“, ist einer von Schellings Grundsätzen.
Apropos Bier. Seit 2009 ist er Weinbauer, hat das Stiftsweingut
Herzogenburg gepachtet und beschäftigt drei Angestellte.
Durchaus prozessorientiert geht er es auch mit den Trauben an.
„In den nächsten zwei Jahren sind wir in Menge und Struktur
dort, wo ich mir das vorgestellt habe“, sagt er. Die Inspektion
der Rieden ist sein Ausgleichssport, aber die wirklich treibende
Kraft hinter dem Wein ist seine Frau, gemeinsam ist den Schellings
ein preisgekrönter Traminer gelungen.
Der neue Finanzminister ist übrigens auch ein sehr leidenschaftlicher
Koch und lädt zwei Mal im Jahr große Freundesrunden
zu sich nach Hause ins Bürgerhaus mitten in
St. Pölten ein. Manchmal sind seine beiden Töchter aus erster
Ehe auch dabei, wenn der Vater seinen berühmten „
Dialog
von Rinds- und Schweinslungenbraten“ kredenzt. Seine Familie,
der Wein, regionales Essen, der Attersee, Golfen und
Segeln werden seine Gegenpole zur Steuerreform in der
Bundeshauptstadt bleiben. „Egal“, sagt er, „wie lange ich verhandle,
am Ende fahre ich in der Nacht immer noch gerne
heim.“
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