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Ausgabe 03/2023

Psychologisches Gespür gefragt

VERTEIDIGUNGSÜBERNAHME. Über die Kommunikation mit Mandantinnen und Mandanten. Von Klaus Hübner

Jede (finanz-)strafrechtliche Verteidigungsübernahme hat bis zu einem gewissen Grad auch eine psychologische Komponente. Mandant:innen befinden sich in aller Regel in einer für sie außerordentlich belastenden und emotionalen Ausnahmesituation. Sie suchen uns auf, weil sie neben der finanzstrafrechtlichen Beratung zu einem gewissen Grad auch persönliche Unterstützung benötigen. Wer erstmals beschuldigt – oder nur verdächtigt – in einem (Finanz-)Strafverfahren ist und mit dem Risiko von hohen Geldstrafen sowie Freiheitsstrafen konfrontiert wird, ist im ersten Moment geschockt. Darüber hinaus kann auch das rechtliche „Neuland“, somit die fehlende Kenntnis über Verfahrensregeln bis hin zu den Rechten und Pflichten, sowie die Ungewissheit über den Verfahrensgang Sorgen bereiten.

Bin ich danach vorbestraft?
Aus diesen Gründen spielt der Erstkontakt mit Mandant:innen eine tragende Rolle und ist für eine zukünftige Zusammenarbeit entscheidend. Mandant:innen belastet das Verfahren, sie wollen sich anvertrauen und über etwaige Ängste sprechen. Dies mündet meistens in Fragen wie „Was kann mir passieren?“ und „Mit welcher Strafe habe ich zu rechnen?“ Aber auch die Frage „Bin ich danach vorbestraft?“ bekommen wir in der Praxis oft zu hören. Für die ersten Berührungspunkte sind daher die persönlichen Fähigkeiten von Verteidiger:innen und deren Fingerspitzengefühl gefragt. Unseren Erfahrungen zufolge steht Expertenwissen zu Beginn noch im Hintergrund. Mit dem Gesetzestext und dem Fachwissen allein lassen sich keine Mandant:innen (und oft auch keine Verfahren) gewinnen. Vielmehr sind Einfühlungsvermögen und der Aufbau von Vertrauen gefragt. Deshalb sollte beim Erstgespräch ausreichend Gelegenheit gegeben werden, Sorgen und Ängste auszusprechen. In diesem Zusammenhang ist dann auch Kommunikationsvermögen gefragt, um mit den richtigen Worten (z.B. „Ich verstehe gut, dass Sie das sehr belasten muss, was jetzt auf Sie zukommt.“) Verständnis für die Situation aufzubringen. Selbstverständlich stellen Mandant:innen sich rasch die Frage, ob der aufgesuchte Verteidiger der richtige ist. Neben dem persönlichen Ersteindruck spielen Flexibilität, Verfügbarkeit und natürlich das Fachwissen eine ausschlaggebende Rolle. Ein Vertrauensverhältnis ist zwar Grundvoraussetzung, aber nicht im Sinne von „freundschaftlicher Verbundenheit“, sondern nebst Empathie ist auch Autorität und die notwendige Distanz gefragt. Regelmäßig wird es Aufgabe von Verteidiger:innen sein, den Ablauf eines Strafverfahrens zu erläutern. Wir sollten keine Panik erzeugen („Die Abgabenhinterziehung kann bis zum Zweifachen des hinterzogenen Betrages bestraft werden und es gibt auch Freiheitsstrafen bis zu vier Jahren.“), also das Verfahren nicht in der düstersten Farbe schildern. Auf der anderen Seite ist auch eine pure Verharmlosung („alles kein Problem“) nicht angebracht, weil sich Mandant:innen zwangsläufig Sorgen machen. Mit allzu optimistischen Prognosen – „Ich sorge schon für eine Verfahrenseinstellung“ – in einem frühen Stadium, oft noch ohne alle erforderlichen Informationen vorliegen zu haben, sollten wir vorsichtig sein. Es ist jedenfalls der Realitätssinn zu wahren und zu einseitig vom Mandanten gewünschten Aussagen sollten wir uns nicht hinreißen lassen, schließlich sind die Schilderungen des Mandanten eingeschränkt durch seine interessengeleiteten Umstände und belastet durch Verdrängungsmechanismen.

Weder Schönfärberei noch Schwarzmalerei
Je öfter man in der Praxis verteidigt, desto mehr gelangt man zu der Erkenntnis, dass viele Mandant:innen mit dem Wunsch oder der Einschätzung „Das Verfahren muss eingestellt werden“ nicht Recht behalten. Es ist aus Erfahrung davon auszugehen, dass mehr Mandant:innen als gedacht sich ein finanzstrafrechtlich relevantes Verhalten vorzuwerfen haben. Es ist weder Schönfärberei noch Schwarzmalerei gefragt, wiewohl eine „Worst-Case-Betrachtung“ sicherheitshalber angestellt werden sollte. Auf der anderen Seite erwarten Mandant:innen auch, dass man ihnen „Hoffnung macht“. Immer wieder sagen wir zu, mit dem zuständigen Strafreferenten Kontakt aufzunehmen, um dessen Sichtweise in Erfahrung zu bringen. Mandant:innen selbst haben in diesem Stadium oft „Berührungsängste“ und schätzen es, wenn Sie als Verteidiger diese „Distanz abbauen“. Vor allem gilt es zu vermitteln, dass wir mit der Situation einer Verteidigung vertraut sind.

Ganz entscheidendes Rüstzeug
Ihr Mandat könnte es als sehr beruhigend empfinden, wenn Sie ihm – sofern zutreffend – mitteilen, dass aufgrund seines verwaltungsbehördlichen und nicht gerichtlichen Verfahrens selbst im Fall einer Bestrafung keine gerichtliche Vorstrafe vorliegt (er also beispielsweise nach wie vor Parlamentsabgeordneter werden könnte), keine Freiheitsstrafe zu erwarten ist, kein Verlust der Gewerbeberechtigung bevorsteht oder auch keine Gefahr eines Ausschlusses nach dem Vergabegesetz auf ihn zukommt. Dennoch ist der Hinweis erforderlich, dass dies nur vorbehaltlich eines sich nicht erhöhenden strafbestimmenden Wertbetrages gilt (so könnte ein ursprünglich verwaltungsbehördlich eingeleitetes Verfahren – weitere UVA werden nicht eingereicht – noch bei entsprechend vermutetem Vorsatz in ein gerichtliches Verfahren „münden“). Ganz entscheidendes Rüstzeug für die Einschätzung des Falles ist jedenfalls die Erfahrung des Verteidigers über die übliche Praxis bei der Strafbemessung. Ohne diese Erfahrung kann ein Erstgespräch nur schwer gelingen. Jedenfalls schätzt es der Mandant, wenn sein Verteidiger das Umfeld kennt und er sich ausmalen kann, was er zu erwarten hat. Zu oft fühlt sich jemand, der beschuldigt ist, höchstpersönlich verfolgt. Daher ist es für Mandant:innen mental hilfreich, wenn Sie mitteilen, dass jährlich rund 7.000 bis 8.000 Finanzstrafverfahren landesweit (mit zu erwartender steigender Tendenz) anfallen. Stichwort: nicht allein im Boot sitzen. Natürlich macht es für Beschuldigte einen deutlichen Unterschied, ob jemand mit EUR 5.000,– oder EUR 15.000,– bestraft wird, die sehr spannungsgeladene Verfahrensdauer von der Einleitung eines Strafverfahrens bis zu dessen Abschluss (meist zumindest ein Prozess von mehreren Monaten) halten Betroffene jedenfalls in markanter Erinnerung. Da wir in unserer Branche überwiegend von der Weiterempfehlung „leben“, spielt also die Wahrnehmung unseres Betreuungsprozesses bei Mandant:innen (und nicht nur unsere Fachkenntnisse allein) eine große Rolle. Ein „Follow-up-Mail“ am Tag nach dem Erstgespräch über die Erörterungen und getroffenen Vereinbarungen, wie etwa die Kontaktaufnahme mit Strafreferent:innen, das Verfassen des abverlangten rechtfertigenden Schriftsatzes an die Finanzstrafbehörde, die Akteneinsicht, die Honorarvereinbarung, kann das Vertrauen in unsere Beauftragung weiter stärken. Jedenfalls sollen Mandant:innen nach dem Erstgespräch spüren, dass wir bedingungslos an ihrer Seite stehen und dabei weder zu ängstlich noch zu weich auftreten. Wer sich in die Situation Betroffener nicht einfühlen oder darauf einstellen kann oder will, hat es in der Verteidigung schwer. Seien Sie nicht überrascht oder enttäuscht, wenn jemand in dieser sensiblen Situation angekündigt oder (häufiger) unangekündigt eine „Second Opinion“ einholt. Wenn jemand vor einer schweren Operation steht, holt er sich verständlicherweise auch zwei oder mehr ärztliche Meinungen ein. Umso wichtiger ist für Sie der Verlauf des Erstgesprächs.

Ein realistisches Verteidigungsziel festlegen
Nach einer umfassenden Informationsbeschaffung gilt es gemeinsam ein realistisches Verteidigungsziel festzulegen. Dabei muss jedoch im Hinterkopf behalten werden, dass dieses Ziel durch die weitere Verfahrensentwicklung überholt werden könnte und sodann neu beurteilt werden muss. Ebenso ist über die Unabwägbarkeiten eines Verfahrens im Sinne „der Aufklärung von Mandant:innen“ zu informieren. Gut überlegt sollte eine Verteidigungsübernahme sein, wenn Emotionen von Mandant:innen das gewöhnliche Maß übersteigen und die persönliche Ebene in den Vordergrund rückt oder jemand einen starken Drang zum Querulieren und Besserwissen aufweist. Ebenso sollten Mandant:innen, die erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung anklopfen (solche Fälle sind in der Praxis nicht unüblich), mit Vorsicht „empfangen“ und die kurzfristige Übernahme der Verteidigung realistisch analysiert werden.

Erscheinungsdatum:

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