ARBEITSZEIT. Über die Arbeitszeit in der Steuerberatung. Von Benedikt Kobzina
Im Lichte der aktuellen Debatte rund um Arbeitszeitverkürzung, Produktivitätsverluste und den vollen Lohnausgleich tut sich die Frage auf, wie es um das Thema Arbeitszeit in Steuerberatungskanzleien steht. Besonders fraglich erscheint es, ob das Konzept einer 40-Stunden-Plus-Woche bei voll verrechenbaren Stunden noch zeitgemäß ist oder vielleicht doch viel gesuchte Berufseinsteiger:innen abschreckt. John Maynard Keynes prognostizierte bereits im Jahr 1930, dass wir in hundert Jahren, also 2030, nur noch 15 Stunden pro Woche arbeiten müssten. Gelang die Reduktion hierzulande rasch von 48 Stunden im Jahr 1959 auf nur noch 40 Stunden 1975, scheint die Arbeitszeit seitdem zu stagnieren. Bei der sich so rasant verbessernden Technologie müsste doch seit 1975 eine weitere Anpassung der Arbeitszeit nach unten hin möglich gewesen sein, könnte man meinen. Was jedoch oftmals außer Acht gelassen wird, ist, dass ein Arbeitsverhältnis für viele nicht die so heiß debattierten 40 Stunden umfasst. Viel eher ist der Alltag in den Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzleien von Teil- und Gleitzeit geprägt. Auch im ÖsterreichSchnitt zeigt sich, dass die Gesamtzahl der Arbeitsstunden dividiert durch die der Arbeitskräfte bloß einen Wert von 27,9 Stunden pro Woche 2022 ergibt. Die Regelarbeitswoche stagniert somit zwar weiterhin bei 40 Stunden, die reale Arbeitswoche liegt jedoch weit darunter.
Die 40-Stunden-Woche
Die Behauptung, dass die 40-Stunden-Woche auch in Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzleien nicht mehr Usus ist, scheint somit legitim. Weiters ist dem oftmals behauptetem „verstaubten“ Image der Branche entgegenzuhalten, dass es gerade die Arbeiten in der Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung sind, die sich besonders gut für eine flexible Zeit- und Orteinteilung eignen. Von projektbasierten Arbeiten wie Due Diligance-Prüfungen oder der Jahresabschlussprüfung börsennotierter Gesellschaften abgesehen, sind die üblichen Tätigkeiten wie Jahresabschlüsse, Buchhaltung und auch die laufende Beratung sehr gut planbar. Ob der Abschluss in Kalenderwoche 15 oder 17 fertiggestellt wird, ist im Regelfall egal. Auch ob die Bilanzierung vor Ort oder im Homeoffice erledigt wird, macht keinen Unterschied. Gerade durch die „Feingliedrigkeit“ der Arbeiten (eine Buchhaltung, ein Jahresabschluss, eine Steuererklärung) können diese Arbeitsblöcke innerhalb der Grenzen der zwingenden Fristen äußerst frei verschoben werden. Somit lässt die Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung einen sehr weiten Rahmen zu, der bei einer positiven internen Umsetzung ein attraktives Umfeld für Berufseinsteiger:innen schafft.
Der Punkt der Produktivität
Trotz all der Benefits sollte der Punkt der Produktivität nicht unbedacht bleiben. In einer Branche, die aufgrund des Fachkräftemangels massiv in der fristgerechten Erledigung ihrer Aufgaben herausgefordert ist, wäre die verpflichtende Reduktion der Arbeitszeit wohl kontraproduktiv. Eine mögliche Lösung könnte jedoch in naher Zukunft Abhilfe schaffen. Durch die neue Technik, die langsam, aber sicher Einzug hält, wird es der Branche möglich werden, den Zeitaufwand für altbekannte Routinetätigkeiten zu reduzieren. Mitarbeiter:innen können sich dadurch vermehrt anspruchsvolleren Tätigkeiten widmen, wodurch Kolleg:innen nicht nur entlastet, sondern ebenso Kund:innen von einem höheren Nutzen profitieren werden. Nicht zuletzt wird dadurch auch der Alltag in den Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzleien ein noch spannenderer und abwechslungsreicherer, der letztendlich auch zu einer größeren beruflichen Entfaltung für Mitarbeiter:innen führen wird. Insgesamt betrachtet hat der Berufsstand somit ein weitaus größeres Potential als oftmals behauptet. Gerade die Beschaffenheit der Tätigkeiten in den Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzleien ist es, die ein hohes Maß an Gestaltungsmöglichkeiten in sich birgt. Wichtig ist es jedoch, die Flexibilität hinsichtlich Arbeitszeit und -ort auch tatsächlich anzubieten und weiterhin alle Maßnahmen zu forcieren, um als Branche ein attraktiver Arbeitgeber am Puls der Zeit zu sein.
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