DIGITALISIERUNG. Eine Zauberformel gibt es nicht. Die Umsetzung der Digitalisierung braucht einfach Zeit. Wir müssen uns den digitalen Wandel erarbeiten. Das Tolle daran ist: Das kann auch Spaß machen. Von Christian Gerstgrasser und Wolfgang Steinmaurer
Es ist wichtig und gut, wenn wir von verschiedensten Seiten beständig auf die Notwendigkeit, im Hinblick auf den digitalen Wandel aktiv werden zu müssen, hingewiesen werden. Es ist nun jedoch höchst an der Zeit, auch entsprechende Handlungen zu setzen. Wir leben in einer Zeit, die uns sehr viele Möglichkeiten bietet, aber auch die Gefahr beinhaltet, dass wir, wenn wir diese nicht ergreifen, darunter leiden werden. Wir sind in unserem Beruf bereits voll ausgelastet und es fällt uns oft schwer, uns vorzustellen, daran etwas ändern zu können. Das Schlimmste, was Sie jetzt tun können, ist, den Kopf in den Sand zu stecken. Sich zu denken: „Wir haben es bis hierher geschafft, wir werden es auch weiterhin schaffen“, wird für die Zukunft zu wenig sein. Wenn Sie nicht bereit sind, sich zu verändern, werden Sie über kurz oder lang Kanzleiwerte vernichten. Sei es bereits aktuell, weil durch den Fachkräftemangel Stellen nicht mehr nachbesetzt werden können, oder mittelfristig, weil wir das eigentlich mögliche – und nachgefragte – Wachstum in unserer Branche mangels manueller Arbeitskraft nicht mehr bedienen werden können.
Die Geschichte ist bereits voll von Beispielen (Nokia oder Kodak), welche sich in ihrer Branche zu sicher gefühlt haben und heute nicht mehr oder nur mehr sehr eingeschränkt am Markt vertreten sind. Umgelegt auf unsere Branche wird dies bedeuten, dass die innovativeren und schnelleren Kanzleien an Größe und Marktmacht gewinnen werden und viele andere Kanzleien eine schleichende Marginalisierung erfahren werden. Aktuell wird diese Entwicklung noch durch die massive Marktnachfrage nach unseren Dienstleistungen verdeckt.
Es gibt keine fertigen Lösungen
Steuerberater:innen dürfen nicht darauf hoffen, dass ihnen in Bezug auf den digitalen Wandel jemand eine fertige Lösung anbietet, die es einfach so zu kaufen gibt. Die bestehenden Softwareanbieter oder die neuen KI-Start-ups werden nur das (Software-)Handwerkszeug liefern können, welches die Digitalisierung und Automatisierung erleichtert oder ermöglicht. Was sie aber nicht tun können, ist die grundlegende Haltung zu diesem Thema und das digitale Mindset in unseren Kanzleien zu implementieren. Dies ist auf Grund der Unterschiedlichkeiten in den Kanzleien auch gar nicht möglich. Hier ist jeder Kanzleiinhaber oder jede Kanzleileitung gefragt, den Wandel bei sich einzuleiten und voranzugehen. Es ist eine Notwendigkeit, sich aus dem Tagesgeschäft zu befreien, so sehr es auch drängt, weil die Konsequenzen für die Kanzlei auf lange Sicht ansonsten verheerend sein werden. Ein Ziel dieses Wandels soll sein, weniger zu arbeiten, aber nicht in dem Sinn, dass sich plötzlich alles von alleine erledigt. Es geht in erster Linie darum, freie Zeit zu schaffen, um sich mit den wichtigen anstatt nur mit den dringenden Themen zu befassen. Niemand kann und wird uns die Arbeit an der Entwicklung unserer Kanzleien abnehmen. Das müssen wir schon selbst tun. Wir waren bisher sehr verwöhnt und haben durch unsere Vorbehaltsaufgaben in einer „geschützten Welt“ gelebt. Aber diese Welt ist es, die sich nun sehr schnell verändert, und Sie werden mit Ihrer bisherigen Kanzleiphilosophie zum Teil brechen müssen. Wir sprechen hier nicht davon, dass jeder Kanzleiinhaber plötzlich Digitalisierungsexperte werden soll oder muss. Allerdings muss die grundlegende Initiative, den Wandel in der Kanzlei anzustoßen, definitiv von der Führungsebene ausgehen. Und damit besteht auch die Notwendigkeit, sich selbst mit dem Thema auseinanderzusetzen und klar die Richtung vorzugeben. Die einzelnen Implementierungsschritte können dann die jeweiligen Fachexperten umsetzen. Doch woher können Sie die notwendigen Informationen und Grundlagen erhalten, um sich diesbezüglich zu informieren? Neben Seminaren der ASW und Fachliteratur bieten auch gemeinsame Kollaborationsplattformen, wie zum Beispiel wtwiki oder das KSW digiwiki, die von Steuerberater:innen für Steuerberater:innen und ihre Mitarbeiter:innen geschaffen wurden, einen sinnvollen Ansatz. Die Zeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, müssen Sie sich aber in jedem Fall selbst schaffen.
Sind Sie in eine Schieflage geraten?
Wer kennt diese Situation nicht? Haben wir nicht alle einmal das Gefühl, in eine Schieflage geraten zu sein? Denken Sie an die erforderlichen Aktivitäten in Bezug auf den digitalen Wandel. Haben Sie da ein gutes Gefühl oder eher nicht? Wenn Sie das nicht haben, dann geht es Ihnen so wie vielen anderen Kolleg:innen auch. Sie wissen, dass sie etwas tun müssen, aber sie kommen einfach nicht dazu und verschieben die Thematik auf später. Eine Konsequenz ist das Entstehen von Frust, einem Schuldgefühl, Angst, die Sie immer mehr hemmen. Dagegen gilt es etwas zu tun! Auch wenn manche (noch) der Meinung sind, dass der digitale Wandel sie nur am Rande betrifft und es ihnen doch eh sehr gut geht, kann diese Situation plötzlich kippen. Das Gefährliche dabei ist der Umstand, dass einem diese Entwicklung zuerst einmal gar nicht wirklich auffällt.
Alles ist eine Frage der Haltung
Viele Unternehmer:innen arbeiten zu sehr im Unternehmen anstatt am Unternehmen. Aber genügt das, übersehen wir dabei etwas? Ja, es ist die innere Haltung. „Denn womöglich ist mit dem Wachstum Ihres Unternehmens diese nicht im ausreichenden Maß mitgewachsen. Oft entwickeln wir die nötigen Kompetenzen und eignen uns das erforderliche Wissen an. Uns selbst, unserem Inneren, widmen wir jedoch oft nicht die gleiche Aufmerksamkeit“. Damit Sie etwas in Ihrer Kanzlei verändern können, sind Sie gefordert, Ihre Haltung zu hinterfragen. Wandel beginnt bei uns selbst und ist mit Haltungsänderung verbunden. Es geht also um innere Haltung. In der Regel ist es so, dass wir uns jene fachlichen Kompetenzen aneignen, um unseren Beruf selbständig und verantwortungsbewusst ausüben zu können. In diese Richtung geht auch die Ausbildung für unseren Berufsstand. Das ist so wie mit der schulischen Ausbildung. Wir müssen für eine fachliche Prüfung lernen, aber wir lernen nicht für unsere Kanzleiführung. Diese wird stark vernachlässigt, obwohl sie aus Unternehmersicht höchst notwendig ist. Was nützt es Ihnen, eine fachlich gute Steuerberater:in, aber gleichzeitig eine mittelmäßige oder schlechte Unternehmer:in zu sein? „Beispielsweise blockieren uns nicht selten hinderliche Glaubenssätze, wie der Wunsch, es in unserer Führungsrolle allen recht machen zu wollen“.
Persönlichkeiten
Michael E. Gerber unterscheidet drei Persönlichkeiten, welche alle Selbständigen in sich tragen:
- Entrepreneur
- Manager
- Fachkraft
Das Problem dabei besteht darin, dass wir als Selbständige diesen Persönlichkeiten nicht in gleichem Maß gerecht werden können und dies deshalb zu Konkurrenzsituationen führt. „Aus diesen unterschiedlichen Rollen haben sich die Formulierungen ,Am Unternehmen arbeiten‘ und ,Im Unternehmen arbeiten‘ abgeleitet“. „An der Kanzlei arbeiten“, also unternehmerisch tätig zu sein, bedeutet, die Kanzlei als solches voranzubringen, und ist somit der Bereich des Entrepreneurs. Mit „In der Kanzlei arbeiten“ ist gemeint, als eine fachlich versierte Person tätig zu sein, und ist somit der Bereich der Fachkraft. Ab einer gewissen Kanzleigröße lassen sich diese beiden Rollen nicht mehr vereinen und es ist eine Entscheidung zu treffen, welche der Rollen langfristig eingenommen werden soll. „Für sehr viele Selbständige geht es nicht um die Entscheidung, ob sie weiter Selbständige oder Unternehmerinnen bzw Unternehmer werden wollen. Sie lieben, was sie tun. Und genau aus diesem Grund wollen sie ihre Tätigkeit als Fachkraft nicht aufgeben, um als reine Unternehmer oder Unternehmerinnen zu agieren. Aber sie wollen dennoch wachsen. Dies betrifft vor allem Selbständige, die sich im Bereich des Expertentums bewegen“. Für Steuerberatungskanzleien gibt es nach Meinung von Stefan Lami zwei „Schallmauern“ im Management: Die erste befindet sich bei 6 bis 8 Vollzeit-Beschäftigten pro Inhaber oder Partner. Die nächste liegt bei 20 bis 25 Vollzeit-Kräften pro Inhaber oder Partner. Die Frage, welche Größe man erreichen kann, hängt daran, wie viel an organisatorischer Führung und Management man bereit ist, gegen den (geliebten) Facharbeitsteil einzutauschen. Ab 25 Mitarbeiter:innen ist beispielsweise eine Vollzeit-Führungskraft mit nahezu keinem Facharbeitsanteil notwendig. Sind Sie sich dieser drei Rollen bewusst und bereit, auch die notwendigen Schritte zu setzen?
Nicht alles selbst machen wollen
Ein weit verbreiteter Irrglaube ist es, alles selbst machen zu müssen, damit es funktioniert! Es ist praktisch in jedem Unternehmen – auch in Steuerberatungskanzleien – möglich, fast alle Facharbeit unabhängig von Ihrer Person zu machen. Vorausgesetzt, dass Sie sich entsprechend mit dem Thema Führung befassen und auch Vertrauen in Ihre Mitarbeitenden haben. Auch diese Thematik lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen, sondern braucht ihre Zeit, weshalb Sie besser sofort damit beginnen sollten. Ihr Anfang muss und kann auch nicht perfekt sein, aber wichtig ist, damit anzufangen. „Unternehmerisch Selbständigen“ ist klar, dass sie nicht alles alleine machen können, und sie wollen das auch nicht. Ein Szenario, vor dem sich viele fürchten, welches sie daher auch meistens beiseiteschieben, ist jenes, was passiert, wenn sie einmal ausfallen, egal ob sie eine längere Geschäftsreise unternehmen oder einen längeren Urlaub planen, ob sie plötzlich krank werden oder anderes mehr. In allen diesen Fällen sind die negativen Auswirkungen viel geringer, wenn Sie Ihre Kanzlei so aufstellen, dass diese auch ohne Ihre Person existieren kann. Bedenken Sie, wenn das so ist, wie schön Sie sich dann Ihr Leben gestalten können. Deshalb ist es so wichtig, dass Sie Ihre Zeit und Energie unter anderem dafür einsetzen, dass Sie sich entbehrlich machen. Wir haben bisher viel zu wenig auf die Weiterentwicklung unserer Teams geachtet und wir haben die Unternehmensprozesse einfach irgendwie entstehen lassen, anstatt dass wir sie bewusst gestalten!
Fragen, für die im Arbeitsalltag keine Zeit bleibt
Veränderungen beginnen in der Regel immer mit einer Bestandsaufnahme, um den Kern der Sache und die Ausgangssituation zu ergründen. Viele Menschen wünschen sich gewisse Veränderungen, aber sie sind oft nicht bereit, sich die dafür notwendige Zeit zu nehmen, oder haben diese einfach nicht, weil sie ständig mit dringenden Dingen befasst sind. Die Wunschvorstellung, dass etwas schnell gehen muss, kann mitunter einer der Hauptgründe dafür sein, dass Kanzleien aktuell da stehen, wo sie zurzeit stehen. „Nachhaltige Veränderung setzt bei Ihren Zielen, persönlichen Wünschen und Bedürfnissen an. Sie entsteht von innen nach außen.“
Tagesgeschäft
Leider ist es in vielen Unternehmen so, und da sind Steuerberatungskanzleien genauso betroffen, dass sich das Tagesgeschäft am schnellsten und am lautesten bemerkbar macht. Somit wird zu sehr „im“ Unternehmen gearbeitet statt „am“ Unternehmen. Das führt dazu, dass Sie keine Zeit mehr für das Management und Führungsaufgaben haben. „Die zeitliche Verteilung zwischen dem operativen Tagesgeschäft, den Verbesserungen der Abläufe und Prozesse sowie den strategischen Aufgaben sieht bei vielen Selbständigen oft so aus“:
So ist es größtenteils
- 10 % strategische Aufgaben
- 20 % Abläufe und Prozesse
- 70 % operatives Tagesgeschäft
So sollte es sein
- 33 % strategische Aufgaben
- 33 % Abläufe und Prozesse
- 33 % operatives Tagesgeschäft
Der Grund, wieso wir uns so gerne mit dem Tagesgeschäft befassen, ist darin gelegen, weil hier aus kurzfristiger Sicht das Geld erwirtschaftet wird, und wir fühlen uns auch deshalb dort wohl, weil wir mit dem Tagesgeschäft besser umgehen können und wir es gewohnt sind. Für die Unternehmerischen Selbständigen geht es in Zukunft darum, das Tagesgeschäft etwas zurückzufahren und sich mehr mit strategischen Themen zu befassen, die bisher vernachlässigt wurden.
Operative Aufgaben
Zu den operativen Aufgaben einer Steuerberatungskanzlei gehört praktisch alles, was erforderlich ist, um die Leistungen zu erbringen. Das sind alle laufenden Geschäftsaktivitäten, die in direktem Zusammenhang mit dem Kanzleizweck stehen. Das betrifft die gesamte Wertschöpfungskette, angefangen bei der Entwicklung einer Dienstleistung über die Beschaffung der dafür erforderlichen Mittel zu deren Ausführung sowie die Entwicklung der Dienstleistung bis hin zum Vertrieb derselben (Marketing).
Strategische Aufgaben
Dagegen gehört zu den strategischen Aufgaben alles, was mit unternehmerischen Zielen und Plänen zusammenhängt. Dabei geht es um die Frage, wo Sie mit Ihrem Unternehmen hinwollen und wie Sie planen, dorthin zu gelangen. Zu den klassischen strategischen Themenbereichen gehören:
- Ihre Unternehmensvision und langfristige Unternehmensziele
- Ihre Positionierung und strategische Geschäftsfelder
- Ihre Kommunikations- und Absatzstrategien
- Ihre Strategie zur Personalgewinnung
- Ihre Nachhaltigkeitsstrategie
Strategische Aufgaben haben die Eigenart, dass sie einen längerfristigen Zeithorizont haben. Das ist auch der Grund, weshalb sie oft vernachlässigt werden, denn sie werden nicht als dringend genug empfunden. Wenn jemand der Meinung ist, dass für das Strategiethema jetzt keine Zeit ist, wirkt sich das nicht unmittelbar so aus, dass ein Nachteil damit verbunden wird. Dieser Nachteil ist aber auf alle Fälle gegeben und wird sich langfristig mitunter verheerend auswirken! Diesen Selbständigen ist sehr wohl bewusst, dass das strategische Thema wichtig ist, aber der Handlungsdruck ist für sie nicht groß genug, um auch etwas dahingehend zu unternehmen. Häufige Aussagen: „Dazu habe ich keine Zeit, das mache ich später“. Die drei Bereiche, Entrepreneur (Unternehmer), Manager, Fachkraft, stehen in Konkurrenz zueinander und haben alle einen völlig unterschiedlichen zeitlichen Fokus. Selbständige müssen der Anforderung gerecht werden, dass sie alle drei Rollen in sich vereinen und sich nicht teilen können, denn auch für sie hat der Tag nur 24 Stunden. „Hier kommen wir wieder zurück zum Lösungskonzept der ,Unternehmerischen Selbständigen‘: Diese vereinen die drei Rollen und haben einen Weg gefunden, ihnen gleichermaßen gerecht zu werden. Dafür sind klare Strukturen ebenso notwendig, wie ein gutes Zeitmanagement. Darüber hinaus erfordert es ein gutes Verständnis zu den Themen Leadership und Management. Und schließlich sind strategisches wie wirtschaftliches Denken gefragt“.
Fazit
Um den digitalen Wandel anstoßen und umsetzen zu können, muss demzufolge primär freie Zeit für strategische Aufgaben geschaffen und deren Notwendigkeit erkannt werden. Es ist nicht notwendig, ein Digitalisierungsexperte zu werden, sondern sich mit den Grundlagen vertraut zu machen und die Kanzlei in die richtige Richtung zu führen. Lassen Sie sich nicht von den technischen Themen abschrecken, welche nur einen kleinen Teil der Digitalisierung bedeuten. Für deren Umsetzung gibt es Experten. Aber den Richtungs- und Sinneswandel in der Kanzlei anzustoßen, ist die ureigenste Aufgabe einer Führungskraft. Und damit können Sie heute schon beginnen!
Erscheinungsdatum: