PORTRÄT. Seit 1. Jänner 2014 gibt es das Bundesfinanzgericht. Christian Lenneis ist Vizepräsident der neu gegründeten Institution, die Finanzverfahren in Österreich reformiert. Von Karin Pollack
Die Hintere Zollamtsstraße ist das kleine Manhattan von
Wien. Umgeben von Hochhäusern wirken die Straßen
hier wie Schluchten, als Besucher fühlt man sich vor der
riesigen Säule mit der vertikalen Aufschrift Bundesfinanzgericht
winzig. Ausweiskontrolle, Besucherkarte, hinauf in den
5. Stock. Vizepräsident Christian Lenneis’ Büro ist in Trakt
H. Insgesamt arbeiten 223 Richter in dem seit 1. Jänner 2014
neu installierten Gericht. Das Bundesfinanzgericht (BFG)
hat noch sechs Außenstellen in den Bundesländern. „Diese
Verteilung wurde von der früheren Struktur übernommen“,
erklärt Lenneis und meint den Unabhängigen Finanzsenat
(UFS), die Vorgängerbehörde. Brandneu, so der Vizepräsident,
ist das digitale Aktenverteilungssystem (AVS). Er ist
gespannt, wie sich die automatisierte Zuteilung von Akten
mit Berücksichtigung der Spezialisierungen der einzelnen
RichterInnen
bewähren wird. „Wichtig war uns, nicht Kompetenz
durch Zufall zu ersetzen“, sagt er. Die kommenden
Monate werden zeigen, wie das in der Praxis läuft.
Christian Lenneis kennt die Finanzverwaltung seit 1979.
Damals stieg der 1956 in Wien geborene Jungjurist in die
Finanzverwaltung ein. „Anfang der 1980er-Jahre wurden
Juristen dort händeringend gesucht, erzählt er über die goldenen
Zeiten. Die Idee, sich dort zu bewerben, kam vom
zukünftigen Schwiegervater, der dem frisch abgerüsteten
Lenneis eine Option aufzeigte. „Steuerrecht war, als ich studierte,
kein Pflichtfach und gar nicht auf meinem Radar“,
erinnert er sich, lächelt und erzählt von seinen Anfangszeiten
am Finanzamt für den 8., 16. und 17. Bezirk als Fachbereichsleiter
und seiner Ausbildung in der Finanzschule: „Ich hätte
auch Steuerberater werden können.“ Dazu kam es nicht, weil
er es innerhalb der Behörde schnell nach oben schaffte. 1983
wechselte er als Leiter der Veranlagungsabteilung ans Finanzamt
für den 2. und 20. Bezirk, wurde 1986 dort Vorstandsstellvertreter
und 1990 Vorstand einer Geschäftsabteilung für
Berufserledigungen in der Finanzlandesdirektion. Von seinem
Büro im fünften Stock schaut er heute auf jenes Gebäude in
der Vorderen Zollamtsstraße hinunter, in dem er von 1990 bis
2013 ein und aus ging. Beschwerden in USt-, ESt- und KöSt-
Verfahren sind Lenneis’ Spezialgebiet. Auch wissenschaftlich
beschäftigt er sich mit der Materie und gibt als Mitautor
im Linde-Verlag ein Standardwerk zum Thema heraus. Der
„Jakom“-Einkommensteuerkommentar erscheint in der siebten
Auflage, sein zweites großes Buchprojekt ist das Familienlastenausgleichsgesetz
(FLAG). „Als ich mit dem Kommentar
begann, war das Thema so gut wie unbearbeitet“, erinnert er
sich und ist stolz, ihn gemeinsam mit Richterinnen und Richter
am BFG juristisch aufgearbeitet zu haben.
Buchprojekte treibt er nach Dienstschluss voran
Seine Buchprojekte treibt der Steuerexperte nach Dienstschluss
voran. „Ich war nie ein besonders enthusiastischer
Schüler, erst als wir uns für die Matura im eigenen Tempo
vorbereiten konnten, hat mir Lernen Spaß gemacht“, erzählt
er. Auch sein Studium an der Wiener Fakultät für Rechtswissenschaft
hat er in bester Erinnerung.
Über einen Schulfreund lernte er seine zukünftige Frau
kennen, heiratete sie 1980. Die beiden haben zwei Töchter:
Verena (27) hat Jus studiert, war Vizeweltmeisterin in der
exotischen Sportdisziplin Footbag und lebt in Kopenhagen,
wo sie nach ihrem Studium der Sportwissenschaften ein PhD
erwirbt. Anita (22) studiert Psychologie, absolviert derzeit
ein Erasmus-Jahr in Spanien und spielt leidenschaftlich Lacrosse
(„Fußball der Indianer“). Die Wohnung im 18. Bezirk
ist derzeit ein bisschen verwaist. Das Ehepaar wohnt in einer
Gasse, die nur über 155 Stiegen zu erreichen ist. Das tägliche
Treppensteigen hält fit. Wie auch das Kulturprogramm. Zwei
Opern- und ein Theaterabonnement füllen die Abende. Seine
Frau, die an einer Berufsbildenden Höheren Schule unterrichtet,
betreut an ihrer Schule selbst ein Theaterprojekt.
Die Ferien verbringt die ganze Familie immer wieder gerne in
ihrem Ferienhaus in Mühlbach am Hochkönig. Auch dieses
Jahr. Dort hat Lenneis Kraft getankt. Die wird er brauchen –
als Navigator des BFG.
Erscheinungsdatum: