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Ausgabe 04/2022

Geforderte Objektivität

GUTACHTEN. Über Steuerberater:innen und Wirtschaftsprüfer:innen als Buchsachverständige. Von René Lipkovich und Rudolf Siart

Gemäß § 2 Abs. 1 bzw. § 3 Abs. 2 WTBG ist eine Vorbehaltstätigkeit des Wirtschaftstreuhandberufes Steuerberater bzw. Wirtschaftsprüfer das Erstellen von Gutachten. Viele Berufskolleg:innen sind auch in die Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Österreichs eingetragen. Die Verfertigung von Gutachten bedarf jedoch anderer Zugänge als die Erstellung von Jahresabschlüssen – aber auch die Durchführung von Wirtschaftsprüfungen. Für die Erstellung eines Gutachtens gibt es keine genauen gesetzlichen Vorschriften, dennoch sind grundsätzlich die Standesregeln für Sachverständige (www.gerichts-sv.at/standesregeln) zu beachten und natürlich die gesetzlichen Regelungen für Sachverständige generell einzuhalten.

Grundsätze der Ordnungsmäßigkeit des Gutachtens
Wenn bei der Bilanzierung dem Auftrag entsprechend – mehr oder weniger – Verlass auf die zur Verfügung gestellten Unterlagen ist, so kommt bei der Arbeit an Gutachten der Befundaufnahme, der gezielten Unterlagen- und Informationsbeschaffung generell und der anzuwendenden Methode entscheidende Bedeutung zu. Der/Die Sachverständige haftet für eine ordnungsgemäße Befundaufnahme und die Anwendung einer anerkannten Methode. Bestehen mehrere mögliche methodische Ansätze, hat der/die Sachverständige die Methodenwahl samt Begründung darzustellen – ja auch auf andere nicht angewendete (Berechnungs-) Methoden hinzuweisen. Wichtig und unbedingt zu beachten ist auch der Grundsatz des Parteiengehörs. Alle Parteien sind demnach gleich zu behandeln – bspw. zur Befundaufnahme (wo immer) zu laden etc., schon um den Anschein der Parteilichkeit oder Befangenheit gar nicht aufkommen zu lassen. Wenn Steuerberater:innen oder Wirtschaftsprüfer:innen bei der Erstellung von Jahresabschlüssen oder der Durchführung von Wirtschaftsprüfungen selbstredend oft mit der Lösung von Rechtsfragen beschäftigt sind, ist das bei der Tätigkeit als Buchsachverständige:r noch viel mehr der Fall. Allerdings ist es dem oder der Sachverständigen untersagt, Rechtsfragen zu lösen oder Beweisfragen zu beantworten – dies ist allein dem Gericht vorbehalten. Anders ist das bei sogenannten gemischten Rechtsfragen – Fragen aus dem Fachgebiet der Sachverständigen –, hier werden sie ihren Beitrag entsprechend leisten müssen, jedenfalls entsprechend deutlich auf Rechtsfragen oder Beweisfragen hinzuweisen haben. Gleiches gilt auch für allfällige Unwägbarkeiten und Einschätzungsfragen, deren Beurteilung oft große Auswirkung auf das Gutachten und damit die rechtliche Würdigung durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft hat. Das Gericht und auch allenfalls die Staatsanwaltschaft kommen ohne diese Hinweise eher nicht zurecht. Wir alle wissen, dass ein Jahresabschluss nach den bekannten Regeln aufzustellen und zu lesen ist. Unser:e Adressat:in in der Steuerberatung ist der oder die bekannte (oft gewünschte) „sachverständige Dritte“. Das Gericht oder die Gutachtens-Adressaten:innen sind aber nicht diese „sachverständigen Dritten“ – die Gerichte ziehen Sachverständige ja deshalb heran, da sie naturgemäß das Fachwissen in diesem Bereich nicht haben (können). Daher ist die Lesbarkeit des Gutachtens, die Nachvollziehbarkeit vor allem der Schlüsse aus dem Befund von entscheidender Bedeutung. Auch die geforderte Trennung von Befund und Gutachten ist daher wichtig. Hinzuweisen sei in diesem Zusammenhang darauf, dass kein Unterschied in der Bearbeitung von Gerichts- zu Privataufträgen besteht. Die Regeln sind die gleichen, vor allem was die geforderte Objektivität betrifft. Dass ein Privatgutachter, eine Privatgutachterin Fakten hervorhebt, die für die Ansicht der Auftraggebenden sprechen, macht ein Privatgutachten nicht sogleich zu einem nichtobjektiven Gutachten. Sie sehen, es gibt doch einige entscheidende Unterschiede zwischen der Tätigkeit der Buchsachverständigen und der Tätigkeit in der klassischen Steuerberatung oder Wirtschaftsprüfung. Die Tätigkeit von Buchsachverständigen ist mannigfach, die Grundstruktur kann jedoch wie folgt zusammengefasst werden: Fachwissen weitergeben – Tatsachen ermitteln – Schlüsse ziehen.

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