ÖGSWissen - page 34

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mmer ist es eine Frage von Sekunden.
Da kommt jemand zur Tür rein, und
noch bevor man einander die Hand ge-
geben hat, ist im Kopf etwas passiert. Die
Augen haben das Gegenüber gescannt,
haben nach Bekanntem gesucht und Un-
bekanntes registriert. Das menschliche
Gehirn funktioniert über weite Strecken
unbewusst, man kann gar nicht anders,
als sich eine Meinung zu bilden. „Kleider,
Frisur und Schuhe zählen seit jeher zu
den Insignien der Macht“, sagt Christine
Bauer-Jelinek. Sie ist Wirtschaftscoach
und Machtexpertin und überzeugt, dass
visuelle Eindrücke stark meinungsbil-
dend sind. Mit Dresscodes erfülle man
zwar Klischees, doch die funktionieren
eben. Kompetenz signalisieren: Darum
ginge es schließlich in der Geschäftswelt,
sagt sie und hat lange Jahre Erfahrung als
Beraterin in diesem Bereich.
Männer haben es einfacher
Dresscode ist das moderne Wort für
Uniform. In der Vereinheitlichung der
Kleidervorschriften liegt ein Vorteil: Man
muss sich nicht jeden Tag von Neuem
überlegen, was man anziehen soll, um
weder „overdressed“ noch „underdressed“
zu sein. Wie Bauer-Jelinek die Branche
der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
sieht: „Sehr klassisches Umfeld, in dem
sich die Akteure mehrheitlich an etablier-
te Kleidervorschriften halten“, sagt sie. In
den beratenden Branchen hat sich in den
letzten Jahrzehnten der Dresscode nur
minimal verändert.
Männer, und daran besteht kaum
Zweifel, haben es in vielerlei Hinsicht
einfacher. Die Tradition der Uniform be-
steht seit Jahrhunderten. Im 20. Jahrhun-
dert haben sich Anzug, Hemd, Krawatte
und Lederschuhe als Business-Outfit eta-
bliert. Die Variationsmöglichkeiten für
Männer sind marginal. Dreiteilige An-
züge signalisieren höchste Seniorität, an
der Farbe der Anzüge lässt sich in Mittel-
europa aber auch die Hierarchiestufe des
Trägers ablesen: Je dunkler, umso mäch-
tiger. Spielraum in männlichen Dress-
codes gibt es lediglich in der Qualität der
Stoffe, bei Manschettenknöpfen und der
Uhr amHandgelenk. Der neueste Trend,
hat Bauer-Jelinek beobachtet, seien bunte
Socken als Farbtupfer, so wie sie Kanadas
Justin Trudeau oder Frankreichs Emma-
nuel Macron tragen.
Frauen im Business haben es aus his-
torischen Gründen wesentlich schwerer,
weil die Vorbilder fehlen. „Mädchen
traditionell immer noch als kleine Bräu-
te gekleidet, quasi als Vorbereitung für
den Heiratsmarkt, das beginnt schon bei
der Erstkommunion“, erläutert Bauer-
Jelinek, die im Sinne der weiblichen
Machtkompetenz auch in der Anwen-
dung der Dresscodes enormen Nachhol-
bedarf ortet. Wer sich seriös geben will,
kleidet sich in Kostüm bzw. Hose und
Blazer und vermeidet jede zu offensive
Darstellung der erotischen Attraktivität.
Konkret: High Heels, nackte Beine oder
freizügige Dekolletés sind absolute No-
Gos in denToppositionen der klassischen
Branchen. Ein zu großer Ausschnitt lasse
Frauen zudem sehr verletzlich wirken,
sagt sie, vor allem gegenüber Männern,
die mit Hemdkragen und Krawatte eine
Form des Kehlschutzes haben. Um einen
ähnlichen geschützten Eindruck zu ver-
mitteln, empfiehlt sie Frauen kurze Ket-
ten oder edle, nicht zu große Schals.
„Auch schuhtechnisch sollten Frau-
en gegenüber einem Mann mit gena-
gelten Lederschuhen oder Budapestern
bestehen können“, erinnert Christine
Richtig gut angezogen
DRESSCODE.
Was Kleidung über die innere Einstellung
und die äußere Wirkung aussagt und was die Vorteile von
Dresscodes sind. Von Karin Pollack
ZUR AUTORIN
Karin Pollack
ist Redakteurin
beim Standard
© MATTHIAS CREMER
© RAMACHSTUDIO/ISTOCK
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skills
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