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s ist definitiv ein Erlebnis, etwas
Neues auszuprobieren. Stress,
Rückenschmerzen, auch ein bisschen
zu viel Kilos auf derWaage? Yoga ist ein
effektives Mittel gegen die Alltagslei-
den im 21. Jahrhundert, sagen alle, die
es regelmäßig machen. Also ja, warum
eigentlich nicht, in einem Wiener
Yogastudio starten gerade die Anfänger-
kurse. Ausbrechen aus den lieben Rou-
tinen, das kann ja nicht schaden. Dass
man sich vor dem Studio die Schuhe
ausziehen muss, ist dann gleich einmal
seltsam. Bequeme Kleidungmitbringen,
stand im Anmelde-E-Mail, und auch,
dass man optimalerweise vier Stunden
vor der Stunde nichts gegessen haben
sollte. Einige haben eigene Yogamatten
mitgebracht. Jetzt stehen sie in Socken
im Eingangsbereich herum. Es riecht
ein bisschen nach Räucherstäbchen und
die, die sich ein schon auskennen, haben
sich inderGarderobe bereits umgezogen
und rollen gerade ihreMatten imkahlen
Übungsraum aus. Sie setzen sich darauf,
schließendieAugenund erstarren. Eines
ist sehr schnell klar:Hier geht es ziemlich
anders zu als draußen in der hektischen
Realität. Auch lautes Sprechen scheint
unerwünscht. Die, die sich kennen,
unterhalten sich imFlüsterton.
Yoga, das sagt die nette langbeinige
Lehrerin mit dem Traumbody, sei kein
Sport.VielmehreineArtEinstellungzum
LebenunddieseStundehiernur einEle-
mentunter vielenanderen, diedasLeben
maßvollundausgeglichenmachensollen.
Sie, sagt die Lehrerin mit muskulösem
Körper, unterrichtet hier Iyengar-Yoga.
Sie setzte sich, faltet die Beine in einer
Art vollkommen verschlungenenSchnei-
dersitz und sagt: „Wer kann, macht den
Lotus, Schneidersitz ist aber auch okay.“
Iyengar sei ein indischerYogameister, der
eine eigeneUnterrichtsmethode inForm
ganz spezieller, genau aufeinander abge-
stimmterÜbungsabfolgengegründethat.
Viele imRaumnicken,weil sievorher
gegoogelt haben und wissen, dass es da
zum Beispiel auch auch noch Ashtanga
(besonders fordernd und akrobatisch),
Hatha (sanfter und fließend), Hot-Yoga
(alleÜbungenbei 38Grad) oderKunda-
lini (vieleWiederholungen) gibt. Iyengar,
sagt die Lehrerin, sei extrem exakt.Man
solle sich genau an ihre Anweisungen
haltenund eineArt innereWärme erzeu-
gen. Mit der Zeit würden durch den
Muskelaufbau auch Rückenschmerzen
verschwinden. Viele hier im Raum sind
genaumit diesemZiel gekommen.
Es sind in allenYogastudios übrigens
immer mehr Frauen als Männer. Die
Lehrerin stimmt ein langgezogenesOoo-
ooooom an – und tönt erst einmal ganz
alleine. In der Öffentlichkeit singen? Ist
für die Anfängerpartie im Raum offen-
sichtlich zu exotisch, die meisten sind
erleichtert, dass es danach endlich los-
geht. „Wir stellen uns am Anfang der
Matte auf, mit geschlossenen Beinen,
die Zehenballen berühren einander“,
so die erste Anleitung der Lehrerin. Die
wenigstenmachendas.Die einen stehen
vorne anderMatte, die anderenhinten.
Oft breitbeinig. Wer wenig mit seinem
Körper arbeitet, tut sich am Anfang
schwer, dieWorte der Lehrerin korrekt
umzusetzen. Wer hauptsächlich im
Büro sitzt, hat Defizite, seine Muskeln
auf die vorgegebene Art zu steuern. Die
Lehrerin marschiert durch die Matten-
reihen und korrigiert hier und dort ein
wenig.Oft sagt sie: „Jedermacht, so gut
er ebenkann.“
Stehen,GrätschenundDrehungen
Die eine oder andere fühlt sich an die
Schulzeit erinnert. Der einzige Unter-
schied: Hier hat alles indische
Namen.Trotzdem: dieMuskeln
und Sehnen dehnen sich, eine
angenehme Wärme im Kör-
per entsteht. Dabei fordert
die Lehrerin die teilnehmen-
den Yoga-Novizen auch immer
wieder zum Atmen auf. „Einatmen,
ausatmen, den Mund dabei geschlos-
sen halten und ein leichtes Geräusch
im Kehlkopf erzeugen“, sagt sie und
benutzt ein fremd klingendesWort, das
wie Utschaj klingt. Aber Atmen, das
geht doch automatisch, fragt jemand.
„Bei Anstrengung oder Konzentration
hören viele ganz einfach zu atmen auf,
beobachtet euch“, antwortet sie, das sei
auch in Stresssituationen im Büro so.
Hier auf der Matte würde man durch
körperliche Übungen lernen, durch
AtmenRuhe zubewahren.
Wie schwierig das ruhige Atmen ist,
wenn es dann darum geht, Arme und
Beine ineinander zu verschlingen und
brezelähnlich in Bewegungslosigkeit zu
verharren, dürfen alle gleich am eigenen
Leib spüren.Was die Lehrerin scheinbar
mühelos vorzeigt, ist für diemeisten im
Raum schlichtunerreichbar. Im Iyengar-
Yoga wird deshalb viel mit Hilfsmitteln
gearbeitet. Die Lehrerin verteilt Blöcke,
GurteundDecken,dieall jenen,die sich
schwer tun, helfen sollen. Tatsächlich:
soft
skills
ZurAutorin
KarinPollack
ist Redakteurin
beimStandard
Eines ist sehr schnell klar: Hier geht es
ziemlichanders zualsdraußen inder
hektischenRealität. Auch lautesSprechen
scheint unerwünscht.
Auf denBodenkommen
Yoga.
KörperlicheErtüchtigungund starkeNerven sind engmiteinander
verbunden.WarumYoga eineBrücke sein kann. VonKarinPollack
©Matthias Cremer
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