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s gibt Flecken inWien, die sind wie New York.Wer
in die Marxergasse einbiegt, bekommt ein Gefühl
dafür, wie es sich in denHäuserschluchtenmoderner
Großstädte lebt. Rechts und links Hochhäuser, dazwischen
Verkehr. Man fühlt sich winzig, ein Eindruck, der verfliegt
– zumindest dann, wenn man im Büro der Präsidentin des
Handelsgerichts Wien angekommen ist. Maria Wittmann-
Tiwald arbeitet im 24. Stock. Der Blick überWien ist atem-
beraubend,unddas erfreut sie selbst jedenTagwieder. „Meine
Aufgabe hier ist es, Strukturen für gute Arbeitsbedingungen
zu schaffen“, sagt Wittmann-Tiwald und meint damit eine
ganzePalette anAufgaben.
Das Handelsgericht Wien ist ein Spiegel der wirtschaft-
lichen Situation des Landes. Ein Drittel aller Insolvenzen
bzw. Klagen gegen Unternehmen inÖsterreich werden hier
abgewickelt. Das sind derzeit 3000 Fälle im Jahr, als Folge
derWirtschaftskrise 2008waren es zeitweise doppelt so viele.
Es sei eineHerausforderung, mit diesen Schwankungen per-
sonell zurechtzukommen, sagt Wittmann-Tiwald, die seit
ihrem Amtsantritt im Juli 2015 eine Reihe von Konzepten
zurVerbesserung entwickelt hat. Zum einenwill sie die über
60 Richter und Richterinnen von administrativen Aufga-
ben entlasten. Zum anderen sieht sie in der Digitalisierung
eine große Effizienzsteigerung. „In der elektronischenRegis-
trierung und Aktualisierung von Unternehmen und Gesell-
schaften sind wir europaweit ein Vorzeigemodell“, sagt die
Präsidentin stolz undmeint das Firmenbuch. Sie spricht sich
dafür aus, die Basisdaten kostenlos zugänglich zu machen
– als Beitrag zu mehr Transparenz. Auch die Debatte rund
um die GmbH-Gründung per Handysignatur betrachtet sie
unter diesemBlickwinkel: „Entbürokratisierung ist einwich-
tiges Ziel, sie darf allerdings nicht dieTüren zu Sozialbetrug,
Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung öffnen.“ Maria
Wittmann-Tiwald versteht es, Pro und Kontra auf eine un-
aufgeregteArt undWeise gegenüberzustellen, undwürde sich
klareEntscheidungen vonder Politikwünschen.
SpannungsfeldWirtschaft
Maria Wittmann-Tiwald kennt das Spannungsfeld Wirt-
schaft seit vielen Jahren. IhrGrundverständnishat auch einen
familiären Hintergrund. Sie stammt aus einer burgenlän-
dischenKaufmannsfamilie, ging inOberschützen zur Schule
und wollte ursprünglichMusikerin werden. Sie inskribierte
nach derMatura 1978 amKonservatorium, hörte allerdings
nach zwei Jahren auf. Dann sattelte sie
aufRechtswissenschaftenumundwuss-
te schnell, dass sie Richterin werden
wollte. Der Grund: Als Rechtshörerin
am Bezirksgericht Hietzing wohnte sie
vielen Verhandlungen bei. 1984 war
sie mit dem Studium fertig und nahm
neben dem Gerichtsjahr einen Assi-
stenzposten bei Werner Doralt am In-
stitut fürUnternehmensrecht derWirt-
schaftsuniversität Wien an. „Es war ja
damals nicht klar, ob ich eine Stelle bei
Gericht bekommen würde“, erinnert
sie sich. Das wissenschaftliche Arbeiten
empfand sie imVergleich zu Verhand-
lungen als eher einsam. 1989 kam sie
als Richterin ans Bezirksgericht Innere
Stadt. Weitere Karriereschritte: 1993 wechselte sie ans Lan-
desgericht für Zivilrechtssachen, 2003 ansOberlandesgericht
inWien. Mit den Berufsjahren wurden die Verhandlungen
weniger, dieManagementaufgabenmehr.
Im Rahmen der Richtervereinigung machte Wittmann-
Tiwald sich für die Grundrechte stark und gründete zusam-
menmit Oliver Scheiber eine Fachgruppe: Themen und In-
itiativen setzen, das liegt der 56-Jährigen. „Grundrechte und
Wirtschaft sind kein Widerspruch“, sagt sie mit Überzeu-
gung, sieht aktuell einenTrend zu Internationalisierung von
Verfahrenundnennt Beispiele: ImZuge derWirtschaftskrise
haben sichAnleger zuGruppenorganisiert,mittlerweilewer-
den etliche österreichischeGesellschaften inHolland geklagt,
weil esdortbessereVerfahrensbedingungendafürgibt.Video-
conferencing bewährt sich zur Zeugeneinvernahme bestens.
Unlängst hätte eine Richterin vomHGWien im Zuge ei-
ner Schadensersatzklage zwei Wochen in New York verhan-
delt. „Der Richterberuf verändert sich in einer globalisierten
Welt“, sagtWittmann-Tiwaldund freut sich, dieseneueWelt
einStückmitgestalten zudürfen.
n
Kraftmit Struktur
PORTRÄT.
MariaWittmann-Tiwald ist PräsidentindesHandels-
gerichtsWien – Internationalisierung inder Gerichtsbarkeit ist die
Zukunft, sagt sieundmeint damit dieWirtschaft. VonKarinPollack
Themenund Initiativensetzen, das liegt der 56-Jährigen.
„GrundrechteundWirtschaft sindkeinWiderspruch“,
sagt siemitÜberzeugung.
personality
MariaWittmann-
Tiwald: seit Juli
2015Präsidentin
amHandelsge-
richtWien
9
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© Heribert Corn
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