ÖGWThema - page 9

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ie Nachricht kam im Juni.
Ein Deutscher übernimmt
die Position des Vorstands-
vorsitzenden der Wiener Börse! Das
war etwas Neues. Seit Anfang Sep-
tember ist Christoph Boschan nun im
Amt. Als Nachfolger von Birgit Kuras
undMichael Buhl hat er sich über den
Sommer mit den österreichischen Ge-
gebenheiten vertraut gemacht.Undwar
erst einmal überrascht: „Es hat mich
gefreut, dass ich hier richtige Börsianer
vorgefunden habe, fast alleMitarbeiter
sind schon lange im Geschäft, haben
viel Know-how“, sagt er. Das mache
ihm Mut. Wer derzeit beim neuen
Börse-Chef einen Termin bekommen
will, hat es nicht leicht. Sein Kalender
ist randvoll, heißt es aufAnfrage.Doch
offensichtlich ist Boschan ein überaus
strukturierter Mensch, denn Medien-
termine hat er allesamt Ende Oktober
über die Bühne gebracht. In so gut wie
allenTageszeitungen sind Interviews er-
schienen.Aus jedemGesprächgeht klar
hervor:DerMannhat einenPlan. Jedes
seiner Argumente belegt ermit Zahlen.
Auch die krisengeschüttelteVergangen-
heit desKapitalmarkts hat ermitDaten
undFakten imKopf.Er ist seit 1999 im
Kapitalmarktgeschäft.
Boschan, Jahrgang 1978, ist jung,
dynamisch, sein Lebenslauf makellos.
Aufgewachsen in Berlin entschloss er
sich nach dem Abitur für ein Studium
der Rechtswissenschaften an der Hum-
boldt-Universität Berlin. Doch irgend-
wann indieserZeit dürfte seinHerz für
denKapitalmarkt entbrannt sein, denn
er promovierte an der Technischen
Universität Chemnitz im Fachgebiet
Börsenwesen. Auch das Jura-Studium
schloss er ab, begann aber schon in sei-
ner Studienzeit 1999 als Börsenhändler
und Market Maker bei der Tradegate
AG zu arbeiten. Fünf Jahre lang lernte
er das Geschäft von der Pike, wech-
selte 2005 an die Börse Berlin in die
Abteilung für Handelsüberwachung
undMarktsteuerung, wurde 2010 Ge-
schäftsführer der Baden-Württember-
gischen Wertpapierbörse, 2012 Vor-
stand der Börse in Stuttgart. Von dort
wechselte er nunnachWien.
Was er sich für Österreichwünscht:
Der österreichische Kapitalmarkt soll
europäischerDurchschnitt werden, was
die Marktkapitalisierung betrifft. Hier-
zulandebeträgt sie25ProzentderWirt-
schaftsleistung, europaweit sind es 50
bis 60 Prozent. „Da gibt es ein Poten-
zial“, sagt er enthusiastisch. „Investieren
ist einMarathon, kein Sprint. Die zwei
erheblichen Krisen der letzten Jahre
dürfendenBlicknicht aufsWesentliche
verstellen: Wir haben im ATX in den
letzten 25 Jahren eine Durchschnitts-
rendite von sechs Prozent. Sagen Sie
mir eine andere Anlageform, die diese
Rendite schlägt.“
Randvoller Terminkalender
Eines von Boschans Zielen ist es, die
Börseauch fürPrivatanleger attraktiv zu
machen: „Das Problem ist, dass breite
BevölkerungskreisenichtvondenÜber-
renditen profitieren, weil es an Finanz-
wissen fehlt.“ In diesemBereichwill er
in dieOffensive gehen, Schulungen für
Kleinanleger anbieten, auf Aufklärung
setzen. Österreichs börsennotierte Un-
ternehmenhabenheuer zweiMilliarden
Euro ausgeschüttet, abernur anwenige,
finanzkräftige Investoren. Seine Ideal-
vorstellungwäre, auchKleinanleger am
Kuchen teilhaben zu lassen.Dievonder
Regierung eingeführte Kapitalertrags-
steuer sei das größteHindernis.
Bereits als Vorstand der Stuttgarter
Börsemachte er sich stark,Kleinanleger
vonderKapitalertragssteuer zubefreien,
um damit dieWirtschaft anzukurbeln.
Boschan weiß, dass er dafür die Politi-
ker überzeugen muss. Seine Anregung
für das österreichische System: Die
Politik bietet Unternehmen viel Unter-
stützung in der Gründungsphase. Hier
würde er gerne an neuen Konzepten
mitarbeiten. SeinEnthusiasmus könnte
ihm dabei helfen. Was Boschan schon
bemerkt hat: „Die Österreicher sind
selbstkritisch“, sagt er, dabei habeWien
imVergleich zu anderenBörsen „knall-
harte Vorteile“. Was er inWien schön
findet: Die Stadt an sich und dieTatsa-
che,dass ervon seinerWohnung zuFuß
in dieWallnerstraße gehen kann. Und
glücklich ist er auch darüber, dass seine
Frauund seinkleinerSohnausStuttgart
nach Wien nachgekommen sind. Zeit
mit seiner Familie ist für ihn nämlich
die schönsteEntspannung.
n
Enthusiasmus fürKapital
PORTRÄT.
ChristophBoschan ist der neueVorstandsvorsitzendederWiener Börse.
Er hat einiges vor, unter anderemwill er Kleinanleger für Investitionenander Börsegewinnen.
VonKarinPollack
personality
9
4/2016
Kamvonder
BörseStuttgart
nachWien: Der
neueVorstand
derWienerBörse
ChristianBoschan
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